Streitwert, Teil 2: Baugenehmigung

Wie ist der Streitwert bei einer Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung zu bestimmen, wenn der Kläger nicht Eigentümer ist? Diese spannende Detailfrage beantwortet eine aktuelle Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 8.7.2016.

VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 8.7.2016 – 8 S 1149/16

Der Sachverhalt: Die Klägerin beantragte am 9.7.2013 die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Laden- und Büroflächen sowie sechs Wohnungen im ersten und zweiten Dachgeschoss auf den im Ortsteil Merklingen der Beklagten gelegenen Grundstücken Flst.Nr. 104 und 104/1.

 

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29.10.2013 mit der Begründung ab, dass das Vorhaben sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin am 15.10.2014 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und zuletzt beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, ihr die beantragte Baugenehmigung unmittelbar vor dem Zeitpunkt zu erteilen, zu welchem die Eigentümerin des Baugrundstücks den mit ihr, der Klägerin, geschlossenen Projektplanungs- und Realisierungsvertrag gekündigt habe, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Streitwert zunächst auf 5.000 Euro festgesetzt – zu Unrecht

Das Verwaltungsgericht hat beide Anträge mit Urteil vom 16.3.2016 abgewiesen und den Streitwert mit Beschluss vom gleichen Tag auf 5.000 € festgesetzt.

Gegen den Streitwertbeschluss hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 3.6.2016 Beschwerde eingelegt, mit der er die Festsetzung des Streitwert auf mindestens 50.000 € begehrt.

Über die Streitwertbeschwerde entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG der Senat.

Die gemäß § 32 Abs. 2 RVG zulässigerweise im eigenen Namen eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert zu Unrecht auf nur 5.000 € festgesetzt.

Falsche Anwendung von § 52 GKG

Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 € anzunehmen.

Die Voraussetzungen der zuletzt genannten Vorschrift werden nur in Ausnahmefällen vorliegen, da § 52 Abs. 1 GKG für eine Streitwertbemessung nach dem Interesse des Klägers an der von ihm mit der Klage verfolgten Sache nicht verlangt, dass dieses Interesse einen in Geldeinheiten exakt zu ermittelnden Wert hat.

Mit der Befugnis, den Streitwert nach richterlichem Ermessen zu bestimmen, ist dem Gericht im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung die Möglichkeit eingeräumt, den Wert des Streitgegenstandes zu schätzen; eine weitgehende Schematisierung und Typisierung vergleichbarer Streitigkeiten ist dabei im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung zulässig und geboten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.9.2015 – 9 A 8.14 – JurBüro 2016, 23; Beschl. v. 22.1.1988 – 7 C 4.85 – JurBüro 1989, 809; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.11.2015 – 10 S 2047/15 – […]).

Möglichst gleichmäßige Ausübung des Bewertungsermessens geboten

Für eine gleichmäßige und vorhersehbare Ausübung dieses Bewertungsermessens orientieren sich die Verwaltungsgerichte dabei regelmäßig an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das entspricht auch der Praxis des Senats.

Als Handreichung für eine möglichst einheitliche Wertfestsetzung in der gerichtlichen Praxis enthält dieser Katalog zwar lediglich Empfehlungen; die Aufgabe des Gerichts, bei der Streitwertfestsetzung im jeweiligen Einzelfall das ihm eingeräumte Ermessen auszuüben, bleibt hiervon unberührt.

Angesichts der Tatsache, dass den Empfehlungen des Streitwertkatalogs eine Gesamtschau der bundesweiten Verwaltungsrechtsprechung zugrunde liegt, kommt ihnen jedoch zur Gewährleistung einer weitestmöglichen Gleichbehandlung besonderes Gewicht zu (BVerwG, Beschl. v. 15.9.2015, a.a.O.).

Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.5./1.6.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen (abgedruckt in: Kopp/Schenke, VwGO , 22. Aufl., Anh. § 166) sieht für die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Mehrfamilienwohnhaus einen Streitwert von 10.000 € je Wohnung (Nr. 9.1.1.3) und für die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für gewerblich genutzte Bauten einen Streitwert von 150 €/m2 Nutzfläche (Nr. 9.1.2.1) vor.

Der Senat schätzt danach die sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache auf wenigstens 80.000 €.

Ob Klägerin Eigentümerin ist, spielt keine Rolle

Der Umstand, dass die Klägerin nicht Eigentümerin des Baugrundstücks ist, rechtfertigt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keine andere Entscheidung.

Mit seinem Argument, es gebe keine genügenden Anhaltspunkte dafür, wie hoch der Gewinn sei, den die Klägerin mit der Erbringung der dem Grundstückseigentümer geschuldeten Dienst- und Werkleistung nach Maßgabe des mit diesem geschlossenen Vertrags erzielt hätte, übersieht das Verwaltungsgericht, dass es auch in Fällen, in denen der Bauherr Eigentümer des Baugrundstücks ist, allenfalls mit einem erheblichen Aufwand möglich sein wird, den mit der Bebauung des Grundstücks zu erzielenden Gewinn verlässlich zu bestimmen.

Im Streitwertkatalog werden gerade deshalb pauschale Größen genannt, um trotz dieser Schwierigkeiten eine möglichst einheitliche Wertfestsetzung zu ermöglichen. Eine Differenzierung danach, ob der Kläger Eigentümer des Baugrundstücks ist oder nicht, ist dabei nicht gerechtfertigt.

Tenor: Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. März 2016 – 9 K 4535/14 – geändert. Der Streitwert wird auf 80.000 € festgesetzt.

Zusammenfassung

Bestimmen des Streitwerts bei Klagen auf Erteilung einer Baugenehmigung

Bei Klagen auf Erteilung einer Baugenehmigung ist der Streitwert auch dann in Anlehnung an die Empfehlungen in Nr. 9.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsgerichtsbarkeit zu bestimmen, wenn der Kläger nicht Eigentümer des Baugrundstücks ist.

VGH Baden-Württemberg – Beschluss vom 08.07.2016 (8 S 1149/16) – DRsp Nr. 2016/12659

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