BGH: Wechselseitige Nichtzulassungsbeschwerden gehören zu einer Angelegenheit

Eine Angelegenheit oder mehrere Angelegenheiten? An dieser Frage scheitern viele Abrechnungen, denn nicht immer ist die Antwort einfach zu erkennen. Jetzt hat der BGH in einer interessanten Entscheidung noch einmal einige Grundsätze für die Unterscheidung herausgearbeitet.

BGH, Beschluss vom 26.09.2018 – Aktenzeichen VII ZB 54/16

Der Fall: Die Klägerin wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen einen nach ihrer Auffassung zu gering dotierten Kostenfestsetzungsbeschluss.

Im Ausgangsrechtsstreit, einer Bausache, entschied das Landgericht auf Antrag der Klägerin in einem Zwischenfeststellungsurteil, dass die von der Klägerin ausgesprochene Kündigung eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund gewesen sei.

 

Mit Urteil vom 18. Oktober 2011 hob das Berufungsgericht diese Entscheidung auf und wies den Antrag der Klägerin auf Erlass eines Zwischenfeststellungsurteils ab.

Zugleich wies es den von der Beklagten in der Berufungsinstanz gestellten Antrag ab, festzustellen, dass ihr aufgrund der von der Klägerin ausgesprochenen Kündigung dem Grunde nach ein Anspruch auf Vergütung gemäß § 649 BGB a.F. i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B zustehe.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts legten beide Parteien Beschwerde ein.

Beschwerde der Klägerin stattgegeben, Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen

Diese Beschwerden wurden bei dem Bundesgerichtshof unter dem gemeinsamen Aktenzeichen VII ZR 223/11 geführt. Mit Beschluss vom 6. Dezember 2012 wies der Bundesgerichtshof die Beschwerde der Beklagten zurück, ließ jedoch auf die Beschwerde der Klägerin hin die Revision zu.

Auf die Revision der Klägerin hob der Bundesgerichtshof sodann mit Urteil vom 7. März 2013 (BauR 2013, 987 = NZBau 2013, 300 ) das Berufungsurteil im Kostenpunkt und insoweit auf, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden war und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Beklagte musste Verfahrenskosten tragen

Nach neuer Verhandlung wies das Berufungsgericht mit Urteil vom 11. Februar 2014 die Berufung der Beklagten gegen das vom Landgericht erlassene Zwischenfeststellungsurteil zurück und erlegte die Verfahrenskosten – auch hinsichtlich des Revisionsverfahrens und der Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten – der Beklagten auf.

Dabei forderte die Klägerin mehr Anwaltsgebühren als vom Landgericht festgesetzt und wendete sich schließlich mit einer Rechtsbeschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss. Nach Meinung der Klägerin war die höhere Kostennote damit begründet, dass die Vertretung in mehreren Angelegenheiten erfolgt sei.

Die Entscheidungsgründe des BGH im Detail

Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Oktober 2015 sei nicht zu beanstanden, weil es sich bei den von der Klägerin und der Beklagten gegen das Berufungsurteil vom 18. Oktober 2011 erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden aus gebührenrechtlicher Sicht um eine Angelegenheit gehandelt habe. Werde ein Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit tätig, könne er die Gebühren gemäß § 15 Abs. 2 RVG nur einmal fordern.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die anwaltliche Vertretung der Klägerin bezüglich der beiden Nichtzulassungsbeschwerden dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG darstellt.

Kriterium 1: Inhaltlicher Zusammenhang und einheitliches Ziel der anwaltlichen Leistung

Ob von einer oder mehreren Angelegenheiten auszugehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten, wobei insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags maßgeblich ist. Weisungsgemäß erbrachte anwaltliche Leistungen betreffen in der Regel dieselbe Angelegenheit, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielrichtung so weitgehend übereinstimmen, dass von einem einheitlichen Rahmen anwaltlicher Tätigkeit gesprochen werden kann (BGH, Beschluss vom 24. März 2016 – III ZB 116/15 Rn. 6 m.w.N., NJW-RR 2016, 883 ).

Starkes Indiz: Gericht sieht von Trennung der Verfahren ab bzw. führt Verfahren zusammen

Im gerichtlichen Verfahren wird der für die Bejahung einer Angelegenheit notwendige Zusammenhang grundsätzlich schon dadurch hergestellt, dass das Gericht von einer Trennung der Verfahren wegen ihres Sachzusammenhangs absieht oder bei zwei ursprünglich getrennten Verfahren wegen ihres Sachzusammenhangs eine Verbindung herbeiführt. Regelmäßig ist das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug eine Angelegenheit (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2016 – III ZB 116/15 Rn. 7 m.w.N., NJW-RR 2016, 883 ).

Nach diesen Maßstäben betreffen die beiden Nichtzulassungsbeschwerden dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG . Die Nichtzulassungsbeschwerden waren Gegenstand desselben Gerichtsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof.

Aus § 17 Nr. 9 RVG ergibt sich nichts anderes

Entgegen der Argumentation der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus § 17 Nr. 9 RVG nichts anderes. Diese Vorschrift regelt für die Anwaltsgebühren das Verhältnis der Nichtzulassungsbeschwerde zum nachfolgenden Revisionsverfahren, betrifft aber nicht das Verhältnis mehrerer Nichtzulassungsbeschwerden.

Unterschiedliche Sachgegenstände und Zulassungsgründe? Unerheblich, so lange einheitlicher Rahmen

Unerheblich ist der Einwand der Rechtsbeschwerde, mit den Nichtzulassungsbeschwerden seien unterschiedliche Sachgegenstände und Zulassungsgründe geltend gemacht worden. Die Annahme einer Angelegenheit setzt nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Von einem einheitlichen Rahmen kann vielmehr auch dann gesprochen werden, wenn der Anwalt mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2016 – III ZB 116/15 Rn. 6, NJW-RR 2016, 883 ).

Höherer Gegenstandswert?

Ebenfalls unerheblich ist der Einwand der Rechtsbeschwerde, im Hinblick auf die von der Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde weiterverfolgten Berufungsanträge hätte ein höherer Gegenstandswert festgesetzt werden müssen.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts gehört nicht zum Prüfungsumfang des Kostenfestsetzungsverfahrens nach den §§ 104 ff. ZPO , sondern ist der verbindlichen Entscheidung im Verfahren nach § 63 GKG , § 33 RVG vorbehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2014 – IX ZB 52/13 Rn. 5, NJW-RR 2014, 892 ).

Überdies ist nicht ersichtlich, weshalb ein höherer Gegenstandswert im Hinblick auf die von der Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde weiterverfolgten Berufungsanträge zur Folge haben sollte, dass hinsichtlich der beiden Nichtzulassungsbeschwerden von selbständigen Angelegenheiten auszugehen wäre.

Auch keine Herleitung aus Nr. 3506 Abs. 2 VV RVG möglich

Anders als die Rechtsbeschwerde meint, lässt sich auch aus Nr. 3506 Abs. 2 VV- RVG nicht herleiten, die Nichtzulassungsbeschwerden müssten gebührenrechtlich selbständige Angelegenheiten sein.

Nach der genannten Regelung wird die Verfahrensgebühr für das Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die Verfahrensgebühr für ein nachfolgendes Revisionsverfahren angerechnet.

Dahinter steht die Erwägung, dass bereits im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Revision weitestgehend vorbereitet werden muss (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 142 zu § 61a Abs. 3 BRAGO a.F., der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zu Abs. 4 wurde; § 61a Abs. 4 BRAGO a.F. entspricht Nr. 3506 Abs. 2 VV- RVG ).

Dieses Ziel der Anrechnung erfordert es nicht, die dem Revisionsverfahren vorausgehende Nichtzulassungsbeschwerde im Verhältnis zu anderen in dem gleichen Verfahren Nichtzulassungsbeschwerden als selbständige Angelegenheit zu behandeln.

Quelle: BGH, Beschluss vom 26.09.2018 – Aktenzeichen VII ZB 54/16, DRsp Nr. 2018/15568

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