Es kommt immer wieder vor: Stellen Sie sich vor, Sie haben in der Abrechnung gegenüber dem Rechtsschutzversicherer die Mittelgebühr um einen xfachen Satz erhöht, da es sich um eine überdurchschnittlich umfangreiche und schwierige Angelegenheit handelte. Die RSV kürzt Ihre Abrechnung auf Regelgebühr 1,3 mit folgender Begründung…
Der Einwand der RSV: Kürzung auf Gebühr von 1,3
„Ihre angesetzte Geschäftsgebühr halten wir unter Berücksichtigung der Rechtsprechung nicht für angemessen. Es handelt sich vorliegend weder um eine umfangreiche noch um eine schwierige Angelegenheit. Beispielhaft dürfen wir auf den BGH (Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 261/05: 1,0 Gebühr) verweisen. Nachdem wir alle Kriterien des § 14 RVG und Ihren anwaltlichen Ermessensspielraum berücksichtigt haben, wurde eine Gebühr von 1,3 zugrunde gelegt und entsprechend ausgeglichen.”
Unser Textbaustein für Ihre Erwiderung
„Bezugnehmend auf Ihr Abrechnungsschreiben teile ich mit, dass es sich bei dem im Rahmen der anwaltlichen Ermessensausübung abgerechneten {zahl}fachen Satz der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG um die im Rahmen der anwaltlichen Vertretung Ihres Versicherungsnehmers angefallenen und von Ihnen zu erstattenden Gebühren handelt.
Im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen darf ich zunächst daran erinnern, dass es absichtsvoll anwaltliche Ermessensausübung heißt – es dürfte unstreitig sein, dass dieser gedankliche Akt eine unvertretbare Handlung im Rechtssinne darstellt.
Aber auch die rechtliche Bewertung der von mir vorgenommenen Ermessensausübung ist unrichtig:
Im Fall Ihres Versicherungsnehmers handelt es sich um eine überdurchschnittlich umfangreiche und schwierige Angelegenheit i.S.d. § 14 RVG, bei der ich die Mittelgebühr nach billigem Ermessen erhöht habe, wobei die in Ansatz gebrachten Gebühren unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse Ihres Versicherungsnehmers ermittelt wurden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 RVG).
Dies ergibt sich aus folgenden, bei der Bewertung zu berücksichtigenden Gesichtspunkten:
Die erbrachte anwaltliche Tätigkeit war überdurchschnittlich umfangreich: Ich habe im Rahmen des mir durch Ihren Versicherungsnehmer erteilten Auftrags insgesamt {zahl} Stunden für die Bearbeitung dieser Angelegenheit aufgewendet. Dieser Aufwand war notwendig: Es wurde auftragsgemäß zunächst unter dem {dat1} ein Schreiben an die Gegenseite gerichtet mit dem Ziel, ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden. Im weiteren Verlauf des Verfahrens habe ich mit der anwaltlichen Vertretung des Arbeitgebers, am {dat2} und {dat3} Telefonate über das Verfahren und Möglichkeiten einer außergerichtlichen Beilegung geführt. In der Folge dieser Kommunikation habe ich die Angelegenheit wiederholt und umfangreich mit Ihrer Versicherungsnehmerin erörtert.
Im Verfahren war umfangreicher Sachvortrag der Gegenseite (insgesamt ca. {zahl} DIN-A4-Seiten) zu prüfen und auf seine rechtliche Relevanz für das Verfahren durchzusehen und zu bewerten.
Die anwaltliche Tätigkeit war darüber hinaus schwierig: Wie Sie dem Kündigungsschreiben entnehmen können, geht es in rechtlicher Hinsicht um die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung. Daher war es erforderlich, Ihrer Versicherungsnehmerin zunächst ausführlich die Gründe zu erläutern, die in ihrem Fall zur Rechtfertigung der Kündigung führen könnten und zu prüfen, ob diese vorlagen.
Daneben waren die formellen Voraussetzungen der Kündigung zu prüfen, insbesondere, ob die Anhörung des Betriebsrats ordnungsgemäß vor Ausspruch der Kündigung erfolgt war. Hieran bestanden begründete Zweifel, weil insoweit verschiedene arbeitgeberseitige Sachverhaltsdarstellungen zu berücksichtigen waren.
Weiterhin waren Ansprüche auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses, auf Weiterbeschäftigung sowie – mit Rücksicht auf entsprechende Ausschlussfristen – im Zuge der Beendigungsauseinandersetzung geltend zu machende Zahlungs-/Abgeltungsansprüche zu prüfen.
Zu entscheidungserheblichen Rechtsfragen war die Kommentarliteratur sowie die umfangreiche Rechtsprechung des BAG auszuwerten. Schließlich habe ich Ihre Versicherungsnehmerin insbesondere auch über die sozialversicherungsrechtlichen Folgen der Kündigung bzw. etwaiger Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen einer vergleichsweisen Einigung beraten.
Last but not least hat die Angelegenheit besondere Bedeutung für Ihre Versicherungsnehmerin. Handelt es sich um eine kündigungsrechtliche Angelegenheit eines Arbeitnehmers, ist regelmäßig von der besonderen Bedeutung der Angelegenheit auszugehen, weil die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers von dem Ausgang der Angelegenheit abhängt.
Der in Rechnung gestellte Gebührensatz ist folglich verhältnismäßig und entspricht vollumfänglich den gesetzlichen Vorgaben.
Der ordnungsmäßen Erfüllung Ihrer versicherungsvertraglichen Pflichten gegenüber meinem Mandanten durch Nachregulierung der zu Unrecht in Abzug gebrachten Gebühren sehe ich bis spätestens {datfrist} entgegen.”
Weitere Praxistipps für Ihre Erwiderung
Sofern eine höhere als eine 1,3fache Geschäftsgebühr geltend gemacht wird, muss dies im Rahmen der Ermessensausübung regelmäßig begründet werden.
Hierbei gelten folgende Grundsätze:
Grundsatz und Höhe der Geschäftsgebühr ergibt sich aus § 14 Abs. 1 RVG sowie Nr. 2300 VV RVG. Danach bestimmt der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin die Rahmengebühren – zu denen auch die Geschäftsgebühr zählt –, die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden.
Für den Ermessensspielraum müssen alle Umstände dargelegt werden; hierzu gehören vor allem:
- Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit: Da sich der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Zeitaufwand für das Aktenstudium, die Wahrnehmung von Terminen und Besprechungen mit Mandanten oder anderen Dritten richtet, ist es sinnvoll, hierüber Dokumentationen zu führen, um diesen Umfang später auch nachweisen zu können. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hängt an dem Auftauchen von Problemen, die vom „Normalfall“ abweichen, ob juristischer oder nichtjuristischer Natur.
- Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber: Die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber ist die Bewertung, wie das persönliche, wirtschaftliche oder auch ideelle Interesse des Auftraggebers am Ausgang des Verfahrens gemessen am Durchschnitt aller Fälle zu gewichten ist. Neben der Berücksichtigung der unmittelbaren sind auch mittelbare Auswirkungen in die Ermessensausübung mit aufzunehmen.
- Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers: Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers verglichen mit den Durchschnittsverhältnissen der Bevölkerung sind ebenfalls ein Kriterium. Die Verhältnisse eines Dritten, welcher nicht Auftraggeber ist, sind hingegen unbeachtlich.
- besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts: Nicht zuletzt ist ein im konkreten Mandat verwirklichendes besonderes Haftungsrisiko berücksichtigungsfähig, welches im Arbeitsrecht z.B. beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags bei langjährigen älteren Mitarbeitern, die jedoch noch einen deutlichen zeitlichen Abstand zum regulären Renteneintritt aufweisen, oder auch bei Beschäftigungssachverhalten mit hochdotierten Führungskräften zum Tragen kommt.
Sofern eine höhere Gebühr als der 1,3fache Satz geltend gemacht wird, sollte dargelegt werden, wie umfangreich eine Angelegenheit wirklich war. Dies kann mit nachfolgender „Checkliste“ einfach und schnell durchgeführt werden:
- Erste Kontaktaufnahme durch Mandant, kurzer Bericht über Sachverhalt
- Durchsicht und Überprüfung der vom Mandanten eingereichten Unterlagen
- Überprüfen von Angaben, zur Verfügung stehende Beweismittel etc.
- Klärung von Arbeitgeberverhältnissen
- Telefonate mit/Einholung von Auskünften beim Betriebsrat
- Vergleichsgespräche/Telefonate mit Gegner
- Anfordern von Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen etc.
- Recherche von Rechtsprechung, Kommentarliteratur etc.
- Beratung Mandant (telefonisch, persönlich), ggf.: Dauer, besondere Schwierigkeiten bei der Kommunikation
- Überprüfen von schriftlichem Gegnervortrag, Unterlagen Klärung/Erledigung weiterer Ansprüche im Rahmen des Auftrags
- Anspruchsschreiben an Arbeitgeber
- Weitere Korrespondenz mit Versicherung
- Zahlungsverkehr
Beispiele für eine Geschäftsgebühr höher als 1,3
1,5
- Anwaltliche Tätigkeit geht deutlich über eine Abfassung eines einfachen Forderungsschreibens hinaus
- Mehrere Schadensersatzpositionen werden geltend gemacht (z.B. Vorschuss Schmerzensgeld) (AG Neumünster, Urt. v. 11.10.2010 – 36 C 215/10)
- RA musste mehrere Schreiben verfassen (AG Mainz, Urt. v. 09.06.2006 – 86 C 51/06)
- Erhöhter Arbeitsaufwand durch Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung des Geschädigten vor Einreichung der Klage (AG Dresden, Urt. v. 05.08.2005 – 103 C 1822/05)
- Wenn aufgrund von Verständigungsproblemen der Sohn des Klägers immer wieder einbezogen wurde und die Kommunikation zwischen dem klägerischen Anwalt und seinem Mandanten sich als schwierig erwies (AG Moers, Urt. v. 13.04.2006 – 562 C 569/05)
- Wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts überdurchschnittlich schwierig war, ist die 1,5-Geschäftsgebühr nicht unbillig (AG Hamburg-Harburg, Urt. v. 21.11.2006 – 645 C 282/06)
1,6
- Ungewöhnlich hohe Zahl an Schreiben und Korrespondenz (AG Hamburg-Bergedorf, Urt. v. 13.05.2005 – 408 C 394/04)
1,8
- Anwaltliche Tätigkeit überdurchschnittlich, überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für Geschädigten wegen der Höhe des Schadens sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse liegen über dem Durchschnitt der Bevölkerung (AG Lübeck, Urt. v. 12.09.2005 – 24 C 3901/04)
- Mehrere Telefonate, Schriftverkehr umfangreich (AG Ottweiler, Urt. v. 10.10.2006 – 2 C 305/06)
2,5
- Sehr viele und umfangreiche Besprechungen zur Informationsbeschaffung mit verschiedenen Beteiligten geführt, teilweise außerhalb der Geschäftszeiten, die Angelegenheit ist überdurchschnittlich (Gutachten RAK Saarland, MittBl der Arge VerkR 4/2005, 147 ff.)
Diese Textbausteine sind dem Produkt „RSV – auf jeden Einwand die perfekte Erwiderung“, Hrsg. Rechtsanwältin Inka Pichler entnommen.