Dürfen sich Nicht-Fachanwälte als „Spezialisten“ bezeichnen?

Nicht jeder Anwalt, der auf ein bestimmtes Rechtsgebiet spezialisiert ist, trägt auch den begehrten Fachanwaltstitel. Dürfen sich diese Nicht-Fachanwälte trotzdem werbewirksam als Spezialisten bezeichnen? Immerhin verbietet die BORA irreführende Berufsbezeichnungen.

BGH, Urt. v. 24.07.2014, Az. I ZR 53/13

§ 7 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) in der Fassung vom 1.1.2015 regelt die Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit und verbietet Benennungen, die die Gefahr einer Verwechslung von Fachanwaltschaften begründen oder in sonstiger Weise irreführend sind.

Daher waren entsprechende Bezeichnungen oder Zusätze auf dem Briefkopf oder dem Kanzleischild (z.B. Experte, Spezalist) bisher nicht zulässig.

 

 
Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob ein Rechtsanwalt ohne Fachanwaltstitel für das Rechtsgebiet Familienrecht die Bezeichnung „Spezialist für Familienrecht“ führen darf oder ob dies irreführend ist.

Die Klägerin (Rechtsanwaltskammer) hielt dies von einem Rechtsanwalt (Beklagten) verwendete Bezeichnung für irreführend und nahm den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch.
 

BGH: Vorhandensein der notwendigen Fähigkeiten entscheidend

Der BGH betonte dabei das Vorhandensein der notwendigen Fähigkeiten. Eine Beeinträchtigung der Interessen der Rechtsuchenden, sofern sie die Begriffe „Fachanwalt“ und „Spezialist“ verwechseln, liege nicht vor, da die notwendigen fachlichen Fähigkeiten des Rechtsanwalts vorliegen.

Allerdings trage ein sich als „Spezialist“ bezeichnender Rechtsanwalt für die Richtigkeit seiner Selbsteinschätzung die Darlegungs- und Beweislast. Dies war vorliegend der Fall, da der Beklagte in den Vorinstanzen vortrug, bei ihm lägen im Bereich des Familienrechts die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 BORA vor, er verfüge über entsprechende theoretische Kenntnisse und sei auf dem Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen.

Ist dies der Fall, so der BGH, kann auch eine entsprechende Werbung nicht untersagt werden und die Verwendung der Bezeichnung „Spezialist“ sei zulässig.

Bezeichnet sich ein Nicht-Fachanwalt als „Spezialist“ auf einem Rechtsgebiet, für das auch eine Fachanwaltschaft existiert, so hat er die Anforderungen der Fachanwaltsordnung (FAO) an besondere theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen bezüglich des Fachanwaltstitels zu erfüllen.

 

Leitsätze: Entsprechen die Fähigkeiten eines Rechtsanwalts, der sich als Spezialist auf einem Rechtsgebiet bezeichnet, für das eine Fachanwaltschaft besteht, den an einen Fachanwalt zu stellenden Anforderungen, besteht keine Veranlassung, dem Rechtsanwalt die Führung einer entsprechenden Bezeichnung zu untersagen, selbst wenn beim rechtsuchenden Publikum die Gefahr einer Verwechslung mit der Bezeichnung „Fachanwalt für Familienrecht“ besteht.
 
Der sich selbst als Spezialist bezeichnende Rechtsanwalt trägt für die Richtigkeit seiner Selbsteinschätzung die Darlegungs- und Beweislast.

 

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6 Kommentare zu “Dürfen sich Nicht-Fachanwälte als „Spezialisten“ bezeichnen?

  1. Bei jahrelang spezialisiert arbeitenden Rechtsanwälten, so z.B. als Dozenten für Arbeitsrecht, Geschäftsführern von Arbeitgeberverbänden, Verhandlungsführern von Tarifkommissionen, etc. ist m.E. der Begriff „Experte für Arbeitsrecht“ gerechtfertigt. Dies sollte aber schon eine jahrelange Tätigkeit gewesen sein.
    Ich habe alles nachzuweisen (s.Vita in meiner Homepage). Kann ich mich als „Experte für Arbeitsrecht“ nennen ?

  2. Der Fachanwaltstitel ist doch sowieso ein Witz. Dem rechtsuchenden Publikum soll eine Fachlichkeit, die etwa dem Facharzt vergleichbar ist, suggeriert werden. Dies ist ein Etikettenschwindel, wie jeder weiß, der sich ein bißchen näher mit den üblichen Umständen des Zustandekommens von Fachanwaltstiteln beschäftigt hat.
    Die Selbsteinschätzung ist im Zweifel deutlich näher an der Wahrheit als jeder Fachanwaltstitel.

  3. Die Selbsteinschätzung aufgrund jahrelanger Tätigkeit (wieviel Jahre eigentlich?) in Ehren. Maßgeblich ist auch die ständige Fortbildung, die gegenüber der Kammer nachgewiesen werden muss. Da ist die jahrelange Tätigkeit kein Argument mehr.

  4. Es gibt sicherlich souveräne Spezialisten, die keine Fachanwaltstitel haben. Diesen Kolleg/inn/en müsste es allerdings auch sehr leicht fallen, die FA-Prüfungen und Klausuren zu bestehen, und das „Kleingeld“ für den Lehrgang auszugeben. Damit wäre dann der Nachweis erbracht. Aber es gibt auch Kolleg/inn/en die ohne Fahrkarte Straßenbahn fahren und sich über die zahlenden Fahrgäste lustig machen.

  5. Ich habe Fachanwälte für Sozialrecht kennen gelernt, die richterhörig waren. Was nützt dann die Bezeichnung Fachanwalt ??? An Bremer Sozialgerichten ticken die Uhren anders.

  6. Grundsätzlich: Spezialist klingt viel besser als Fachanwalt! Ich würde lieber zu einem Spezialisten gehen.
    Der kann was….
    Fachanwalt klingt so, als kônne er sonst nichts…

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