Im vorletzten Teil der Artikelserie wenden wir uns einem heiklen Thema zu: Was passiert mit dem Vergütungsanspruch, wenn der Anwalt gegen grundlegende anwaltliche Pflichten verstößt?
Der Verstoß gegen grundlegende anwaltliche Pflichten
Hinweis: PDF-Version hier öffnen.
Grundsätzlich gilt: Nur der bewusste vorsätzliche Verstoß gegen grundlegende anwaltliche Pflichten nimmt der Anwaltstätigkeit den Wert einer anwaltlichen Leistung und beseitigt den Anspruch auf eine Vergütung.
Bei bloß – selbst grob – fahrlässiger Verkennung anwaltlicher Pflichten bleibt der Vergütungsanspruch dagegen erhalten.
Schlechterfüllung von Anwaltspflichten mindert den Anspruch des Rechtsanwalts also regelmäßig nicht, von seinem Auftraggeber die angefallenen Gebühren und Auslagen zu verlangen.
Im Unterschied zur vom Rechtsanwalt zu vertretenden Kündigung und Unmöglichkeit, wo ein Vergütungsanspruch gar nicht entsteht oder nach seiner Entstehung wieder wegfällt, bleibt im Falle einer Schlechterfüllung der Vergütungsanspruch bestehen.
Schadensersatzanspruch und Aufrechnung gegen Vergütungsanspruch
Bei schuldhafter Verletzung von Anwaltspflichten kann sich der Rechtsanwalt aber schadensersatzpflichtig machen. In diesem Fall kann der Auftraggeber mit seinem Schadensersatzanspruch gegen den Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts aufrechnen.
Schaden in diesem Sinn ist nicht der Erfüllungsschaden, sondern der Begleitschaden, der durch Berechnung der Differenz mit der Lage zu ermitteln ist, die bei ordentlicher Erfüllung aller anwaltlicher Pflichten bestanden hätte.
Ein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch besteht daher nach dieser Differenzbetrachtung nicht, wenn die Schlechterfüllung auf das Ergebnis ohne Einfluss geblieben ist (z.B. der Prozess ohnehin für den Mandanten verloren worden wäre), oder wenn, wie z.B. im erstinstanzlichen Arbeitsgerichtsverfahren, ein Anspruch auf Erstattung gegnerischer Kosten nicht entstehen kann, oder wenn der Mandant im Parteiprozess sich dann selbst weiter vertritt.
Die Gebührenüberhebung
Der Rechtsanwalt, der Gebühren oder pauschalierte Auslagen erhebt, von denen er weiß, dass der Zahlende sie überhaupt nicht oder nur in geringerem Betrag schuldet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft; der Versuch ist strafbar (§ 352 StGB).
Erforderlich ist stets, dass der Rechtsanwalt die Vergütung für eine Berufstätigkeit geltend macht. Erforderlich ist ferner, dass der Rechtsanwalt den Vergütungsschuldner über seine ihm zustehenden Ansprüche täuscht, nicht aber, dass die Täuschung erfolgreich war, also zu einem Irrtum des Vergütungsschuldners geführt hat.
Ebenso wenig erforderlich ist eine Bereicherungsabsicht des Rechtsanwalts. Die Tat ist vollendet erst mit Zahlung, aber auch mit Aufrechnung, z.B. gegen Fremdgeld oder Vorschuss. Das Anfordern ist nur – ebenfalls strafbarer – Versuch.
Eine überhöhte Vergütung wird auch dann erhoben, wenn sie als Vorschuss gefordert oder eingeklagt oder gem. § 11 RVG geltend gemacht oder im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben wird.
Eine Gebührenüberhebung liegt nicht vor, wenn der Anwalt auf der Grundlage einer Honorarvereinbarung abrechnet, er kann sich aber sowohl bei gesetzlichen Gebühren als auch bei vereinbartem Honorar einer Untreue schuldig machen.[1]
Verzögerung der Erledigung des Rechsstreits[2]
Hat der Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren schuldhaft (also unter Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht des § 282 ZPO) die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Verhandlungstermins verursacht[3] oder durch nachträgliches Vorbringen von Angriffs-, Verteidigungs- oder Beweismitteln, die früher vorgebracht werden konnten, die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, kann das Gericht seiner Partei eine besondere Verzögerungsgebühr auferlegen (§ 38 Satz 1 GKG).
Fällt das Verzögerungsverschulden allein dem Rechtsanwalt zur Last, dann kann die mit einer Verzögerungsgebühr belegte Partei im Innenverhältnis von diesem Rechtsanwalt deren Erstattung bzw. Freistellung verlangen, trifft beide ein Verschulden, ist nach § 254 BGB zu verfahren.
Vollmachtloser Vertreter
In einigen gerichtlichen Verfahren hat der einen Beteiligten vertretende Anwalt seine Verfahrensvollmacht schriftlich[4] zu den Gerichtsakten einzureichen, so z.B.
- vor dem Bundesverfassungsgericht: 22 Abs. 2 BVerfGG,
- in Ehesachen: § 609, 80 ZPO,
- im Verwaltungsgerichtsprozess: 67 Abs. 3 VwGO,
- im Sozialgerichtsprozess: 73 Abs. 2 SGG,
- im Finanzgerichtsprozess: 62 Abs. 3 FGO.
In anderen Verfahren ist die Vollmacht erst auf Rüge des Gegners oder auf Verlangen des Gerichts vorzulegen, so z.B.
- im Zivilprozess, und zwar sowohl im Parteiprozess als auch im Anwaltsprozess: § 80 Abs. 1, 88 ZPO,
- im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit: § 10, 11, 12, 33 FamFG,
- im Strafprozess: arg. 145a StPO.
Wird die schriftliche Vollmacht nicht zusammen mit der bevollmächtigten Handlung eingereicht, kann sie auch nachgereicht werden (siehe aber § 174 BGB); das Gericht kann hierfür eine Frist bestimmen (§ 80 ZPO).
Bringt in oben genannten Fällen der einstweilen zur Prozessführung vom Gericht zugelassene Bevollmächtigte seine Vollmacht nicht bei, so hat er die durch sein Auftreten (seine Einmischung) dem Gegner verursachten Kosten und Schäden zu ersetzen (§ 89 ZPO),[5] Sozien haften als Gesamtschuldner.
Den vollmachtlos Vertretenen oder einen Dritten dagegen trifft keine Kostenlast, es sei denn, der Vertretene habe das vollmachtlose Auftreten des Vertreters verursacht,[6] während einem Dritten die Kosten nie auferlegt werden können. Ebenso wenig haftet der vom vollmachtlosen Vertreter bestellte Unterbevollmächtigte.[7]
Anwaltshaftung für gerichtliche Auslagen
Häufig wird eine mit Auslagen oder Gebühren verbundene Handlung des ordentlichen Gerichts von vorheriger Zahlung eines Vorschusses abhängig gemacht (§§ 10 ff. GKG, §§ 13 ff. GNotKG, § 3 JVEG, § 8 JVKostG, § 4 GvKostG, §§ 379, 402, 934 Abs. 2 ZPO).
Gelegentlich übernimmt dann der Anwalt, vorzugsweise im Interesse einer Beschleunigung oder Vereinfachung, gegenüber der anfordernden Stelle die persönliche Haftung für den vom Mandanten zu leistenden Vorschuss. Die dem Anwalt erteilte Prozessvollmacht ermächtigt ihn zu solcher Erklärung, einer besonderen Vereinbarung mit dem Mandanten bedarf es nicht.
Durch solche – formlos vor oder nach Entstehen oder Fälligkeit der Vorschusspflicht mögliche und auslegungsfähige – Erklärung wird der Anwalt nicht nur selbstschuldnerischer Bürge für die Vorschusspflicht des Mandanten, vielmehr selbst weiterer Kostenschuldner (§ 29 Nr. 2 GKG, § 27 Nr. 2 GNotKG), evtl. Gesamtschuldner mit anderen Kostenschuldnern (denen gegenüber ggf. die Vorschusspflicht bestehen bleibt – § 18 GKG, § 32 GNotKG – und die dann einen Freistellungsanspruch haben), jedoch nur für den dem Mandanten auferlegten Vorschuss, nicht aber auch für einen den angeforderten Vorschuss übersteigenden Aufwand.
Die Übernahmeerklärung des Anwalts ist weder widerruflich noch anfechtbar, sie lässt keine Bedingung zu, auch nicht die eines bestimmten Verfahrensausgangs, wohl aber eine Befristung.
[1] BGH, Urt. v. 06.09.2006 – 5 StR 64/06, JurBüro 2007, 531 = AnwBl 2006, 759: Eine überhöhte Honorarvereinbarung allein erfüllt nicht den Tatbestand einer Gebührenüberhebung.
[2] Hierzu ausführlich Beckmann, MDR 2004, 430.
[3] Zur Verzögerungsgebühr bei „Flucht in die Säumnis“: OLG Celle, Beschl. v. 13.08.2007 – 2 W 70/07, NJW-RR 2007, 1726.
[4] Das heißt im Original, Telefax genügt nicht: BGH, Urt. v. 23.06.1994 – I ZR 106/92, NJW 1994, 2298; BFH, Urt. v. 28.11.1995 – VII R 63/95, NJW 1996, 871; BGH, Beschl. v. 27.03.2002 – III ZB 43/00, NJW-RR 2002, 933; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.04.2008 – 1 U 461/08, MDR 2008, 1233.
[5] OLG Zweibrücken, Urt. v. 31.03.1999 – 1 U 10/98, NJW-RR 2001, 359; OLG Stuttgart, Urt. v. 12.07.2010 – 5 U 33/10, MDR 2010, 1427.
[6] BGH, Beschl. v. 13.02.1992 – V ZR 112/90, NJW 1992, 1458; Beschl. v. 04.03.1993 – V ZB 5/93, BGHZ 121, 397 = NJW 1993, 1865 = MDR 1993, 1249; Beschl. v. 17.10.1996 – V ZR 275/95, NJW-RR 1997, 510 = MDR 1997, 198; Beschl. v. 18.05.2000 – IX ZB 114/98, NJW-RR 2000, 1499.
[7] OLG München, Beschl. v. 15.10.1992 – 25 W 2480/92, OLGZ 1993, 223.