Die Wertgebühr im sozialrechtlichen Verfahren

Teil 2 unserer Serie über die Rechtsanwaltsgebühren im Sozialrecht: Im folgenden Beitrag geht es um die Wertgebühren im sozialrechtlichen Verfahren.

Keine Zugehörigkeit zum Personenkreis des § 183 SGG

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz RVG werden in denjenigen Verfahren die Gebühren nach dem Gegenstandswert bestimmt, in welchen der Auftraggeber nicht zu dem Personenkreis des § 183 SGG gehört. In diesen Streitigkeiten verweist der Gesetzgeber daher auf die Gebührenberechnung nach dem Gegenstandswert gem. § 2 Abs. 1 RVG.[1])

Hierzu ist hier bereits dargestellt worden, dass der Gesetzgeber dem in § 183 SGG erwähnten besonders schutzwürdigen Personenkreis die niedrigen Betragsrahmengebühren des § 3 Abs. 1 RVG zugute kommen lassen will, die Gebühren in Rechtsstreiten aller sonstigen Parteien in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten jedoch nach dem Gegenstandswert berechnet werden sollen.

 

Von der Regelung des § 183 SGG sind im Sinne einer Ausgrenzung aus der dort benannten Personengruppe insbesondere erfasst Streitigkeiten

  • zwischen Sozialleistungsträgern untereinander,
  • zwischen Sozialleistungsträgern und Arbeitgebern sowie
  • aus dem Vertragsarztrecht des SGB V,
  • um die Heranziehung zum Notfalldienst u.a.[2])

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber, der für seine versicherten Arbeitnehmer zur Beitrags- oder Umlagezahlung herangezogen wird, auch wenn es um die Versicherung der Beschäftigten geht, kein Versicherter i.S.d. § 183 SGG.[3]) Der Streitwert wird i.d.R. nach der Höhe der beanspruchten Beiträge bemessen.

Auch die Prozessführung des Insolvenzverwalters wird nach dem Gegenstandswert berechnet, z.B. zum Zwecke des Einforderns von Sozialversicherungsbeiträgen zur Insolvenzmasse.

Ein Versicherter, der die Befreiung von der Versicherungspflicht begehrt, ist Versicherter i.S.d. § 183 SGG.[4]) Es entstehen in einem solchen Rechtsstreit Betragsrahmengebühren.

Gegenstandswert in der Sozialgerichtsbarkeit

Zum Gegenstandswert in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten gibt es zahlreiche Einzelentscheidungen. Beispielhaft sei aufgeführt:

Zulassung einer auf Geriatrie spezialisierten Einrichtung

Der Streitwert eines Verfahrens über die Zulassung einer auf Geriatrie spezialisierten Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation bestimmt sich grundsätzlich nach dem angestrebten wirtschaftlichen Erfolg. Lässt sich dieser durch eine konkrete Einnahmen-/Ausgabenrechnung noch nicht feststellen, ist jedenfalls ein pauschaler Wert von 500.000 € angemessen.[5])

Standortanerkennung für medizinische Großgeräte

Der Wert eines Streits um die Zulassung medizinisch-technischer Großgeräte wird festgestellt mit dem Anschaffungspreis unter Berücksichtigung eines Privatpatientenabschlags (Möglichkeit der Nutzung für diese) von 10 %, verteilt auf eine 10-jährige Nutzungsdauer, begrenzt auf die kostenrechtliche Fünfjahresobergrenze.[6])

Zulassung Vertragsarzt

Diese wird bewertet nach dem innerhalb eines Zeitraums bis zu fünf Jahren zu erzielenden Nettoeinkommen des Berufsanfängers.

Beteiligung von Krankenhausärzten an der vertragsärztlichen Versorgung

Maßgebende Zeitspanne zwei Jahre.[7])

Anfechtungs- und Feststellungsklage, gerichtet auf Mitgliedschaft eines Unternehmens in einer Berufsgenossenschaft

Wird nach dem Beitragsaufkommen für den Arbeitgeber während der ersten acht Jahre der Mitgliedschaft bemessen.[8])

Abschluss eines Vertrags auf Leistungserbringung

Mindestens erwarteter Jahresumsatz, bis zu fünf Jahresumsätzen (wie Zulassung Vertragsarzt, ggf. unter staffelnder Einbeziehung von Anlaufschwierigkeiten).

Zulassung zur Kinder- und Jugendlichentherapeutin

Der Entscheidung des BSG lag ein Wert von 120.000 € zugrunde.[9])

Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit

Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landessozialgerichte haben am 16.05.2006 einen Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit beschlossen, ähnlich demjenigen zur Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine erste Überarbeitung erfolgte mit Stand 01.04.2009 („Streitwertkatalog 2009“). Der Streitwertkatalog wurde zwischenzeitlich erneut überarbeitet und liegt zurzeit mit Stand Mai 2012 vor.

Der Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit ist hier für Sie als Gratis-Download abrufbar.

Säumniszuschläge

Säumniszuschläge sind keine unselbständigen Nebenforderungen, sondern Hauptforderungen, die bei der Ermittlung des Streitwerts zu berücksichtigen sind.  Zum einen sind Nebenforderungen dann als Hauptforderungen zu berücksichtigen, wenn sie als „besonderes Geschäft“ (§ 37 Abs. 2 GNotKG) zu betrachten sind. Sie folgen i.d.R. der Ausübung einer Ermessensentscheidung. Außerdem fallen sie nicht unter die Aufzählung des § 4 Abs. 1 ZPO.[10])

Der Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2012 stellt allerdings unter A. Ziff. 2 Buchst. f) fest, dass nur bei getrennter Erhebung der Säumniszuschlag gesondert werterhöhend berücksichtigt wird:

Zitat„Sind außer dem Hauptanspruch noch Nebenforderungen (z.B. Zinsen, Kosten) betroffen, wird der Wert der Nebenforderungen nicht berücksichtigt (§ 43 Abs. 1GKG).

Sind Nebenforderungen ohne den Hauptanspruch betroffen, ist der Wert der Nebenforderungen maßgebend, soweit er den Wert des Hauptanspruchs nicht übersteigt (§ 43 Abs. 2 GKG). Diese Begrenzung auf die Höhe der Hauptforderung gilt nicht, wenn die Hauptforderung von vornherein nicht rechtshängig war oder erledigt ist und nur die Nebenforderung streitig ist (Zinsen, BSG, 08.09.2009 – B 1KR 8/09 R –).

Sind die Kosten des Rechtsstreits ohne den Hauptanspruch betroffen, ist der Betrag der Kosten maßgebend, soweit er den Wert des Hauptanspruchs nicht übersteigt (§ 43 Abs. 3 GKG).“

Praxishinweis: Wegen der oft hohen Säumniszuschläge, die sich erheblich vergütungserhöhend auswirken können, sollte eine den Wert der Säumniszuschläge nicht gesondert berücksichtigende Entscheidung einer Überprüfung im Beschwerdeverfahren unterzogen werden, ggf. dann, wenn die Erledigung im vorgenannten Sinne stattgefunden haben könnte.

 

Anwendbare Vorschriften des Vergütungsverzeichnisses

Die Höhe der Vergütung folgt den allgemeinen Regeln des § 2 Abs. 2 RVG unter Verweis auf Anlage 1 zum RVG (= Vergütungsverzeichnis). Es kann damit auf die allgemeinen Ausführungen zu den Wertgebühren verwiesen werden.

[1])    Vgl. zur Abgrenzung mit praktischen Beispielen, allerdings zum alten Recht: Endres, Kostenpraxis, JurBüro 2003, 355 ff.

[2])    Göttlich/Mümmler, RVG, Stichwort „Sozialgerichtssachen“, Nr. 2.1. unter Hinweis auf § 51 SGG und weitere Arten von Streitigkeiten.

[3])    Leitherer, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 183 Rdnr. 5a.

[4])    Leitherer, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 183 Rdnr. 5a.

[5])    BSG, Beschl. v. 08.10.2002 – B 3 KR 63/01 R, JurBüro 2003, 86.

[6])    LSG Baden-Württemberg, MedR 1992, 243, verweist darauf, dass der Anschaffungspreis leicht, im Gegensatz zu einer möglichen Umsatzentwicklung, festgestellt werden könne, im konkreten Fall 0,56 Mio. € (1,11 Mio. DM), Festsetzung auf 255.600 € (500.000 DM).

[7])    BSG, NZS 1994, 142, 143 li. Sp.

[8])    BSG, AnwBl 1982, 30.

[9])    BSG, Urt. v. 17.10.2007 – B 6 KA 4/07 R, NZS 2008, 612.

[10])  LSG Mainz, Beschl. v. 02.12.2005 – 2 B 129/05 R, AGS 2006, 191.

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