Im folgenden Beitrag gehen wir darauf ein, was Sie bei der Geltendmachung der Gebühren im Adhäsionsverfahren zu beachten haben. Welche Normen im RVG regeln die Vergütung? Was ist der persönliche, was der sachliche Anwendungsbereich? Was ist der Unterschied zwischen Ansprüchen im Adhäsionsverfahren und außerhalb des Adhäsionsverfahrens?
Jede Art der Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche ist beim Adhäsionsverfahren einschlägig; dabei kommen als Konstellationen in Betracht:
- Geltendmachung von Ansprüchen und gleichzeitige Vertretung der Nebenklage;
- Geltendmachung von Ansprüchen ohne gleichzeitige Vertretung der Nebenklage;
- Abwehr solcher Ansprüche bei gleichzeitiger Verteidigung;
- Abwehr solcher Ansprüche ohne gleichzeitige Verteidigung.
Vergütungsregelungen: Vergütungsrechtliche Regelungen im Zusammenhang mit vermögensrechtlichen Ansprüchen des Verletzten bestehen an mehreren Stellen:
- Tätigkeit im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs, ausgenommen eines Termins (Nr. 2300 VV RVG);
- Termin im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs (Nr. 4102 Nr. 4 VV RVG);
- Einigung zwischen Opfer und Täter (Nr. 1000 ff. VV RVG).
Anwendungsbereich
Die Nr. 4143–4145 VV RVG regeln die Vergütung für die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz (Nr. 4143 VV RVG), der Berufungs- und Revisionsinstanz (Nr. 4144 VV RVG) und im Beschwerdeverfahren des § 406 Abs. 5 Satz 2 StPO (Nr. 4145 VV RVG).
Persönlicher Anwendungsbereich
Anspruch auf die Zusatzgebühren hat zunächst der Rechtsanwalt des Anspruchstellers, i.d.R. des Nebenklägers, wenn er im Strafprozess gegen den Angeklagten Schadensersatz geltend macht (Adhäsionsverfahren, §§ 403 ff. StPO). Die Zusatzgebühren entstehen aber auch für den Verteidiger des Angeklagten, wenn er zur Abwehr der geltend gemachten Ansprüche tätig wird. Fragen der Kostenerstattung entstehen hier im Zusammenhang mit der Beiordnung des Rechtsanwalts bzw. dessen Bestellung zum Pflichtverteidiger.
Beigeordneter Nebenklagevertreter: Der nach § 397a StPO dem Verletzten als Nebenklagevertreter beigeordnete Rechtsanwalt hat nicht automatisch auch hinsichtlich von im Adhäsionsverfahren geltend gemachten Ansprüchen einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse,[1]) da die Nebenklagebeiordnung lediglich die Vergütung seiner auf das Strafverfahren bezogenen Tätigkeiten umfasst. Hinsichtlich des zivilrechtlichen Verfahrensteils setzt die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse voraus, dass seinem Mandanten vollumfänglich Prozesskostenhilfe (§ 404 Abs. 5 Satz 2 StPO, § 121 Abs. 2 ZPO) gewährt wurde.[2]) Auch der Abschluss eines Vergleichs im Rahmen des Adhäsionsverfahrens muss von der Gewährung der Prozesskostenhilfe umfasst sein.[3])
Praxistipp: Beabsichtigt der Verletzte, als Nebenkläger am Strafverfahren teilzunehmen und dort im Wege des Adhäsionsverfahrens Ansprüche geltend zu machen, empfiehlt es sich, dies schon zu Beginn seiner Verfahrensteilnahme dem Gericht gegenüber bekannt zu geben, um dem Gericht die Möglichkeit zu nehmen, auf eine Nichteignung des Anspruchs (§ 406 Abs. 1 Satz 4 StPO) zu erkennen.
Pflichtverteidiger: Nach einhelliger Auffassung im Schrifttum zur StPO umfasst die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch die Abwehr von im Adhäsionsverfahren geltend gemachten Ansprüchen.[4]) Die Auffassung wird auch in der Literatur zum RVG geteilt.[5])
In der Rechtsprechung ist die Frage dagegen umstritten. Eine Entscheidung des BGH zu dieser Frage ist bislang nicht ergangen; vielmehr wurde sie im Beschluss vom 30.03.2001[6]) ausdrücklich offen gelassen, im Beschluss vom 27.05.2009[7]) überhaupt nicht thematisiert.
Pflichtverteidigerbestellung reicht aus: Auch nach einem Teil der Rechtsprechung umfasst die Bestellung zum Pflichtverteidiger auch die Abwehr von Ansprüchen, die gegen den Angeklagten im Adhäsionsverfahren geltend gemacht werden; eine gesonderte Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe ist nicht erforderlich.[8]) Allerdings ist diese Rechtsprechung im Rückzug begriffen.
Prozesskostenhilfe ist erforderlich: Die meisten Gerichte verlangen dagegen eine gesonderte Beiordnung des Pflichtverteidigers im Wege der Prozesskostenhilfe.[9])
Praxistipp: Aus der Entwicklung der Rechtsprechung des KG und des OLG Hamburg folgt, dass sich der Pflichtverteidiger nicht darauf verlassen kann, dass sich die bisher in seinem OLG-Bezirk vertretene Rechtsauffassung nicht ändert. Er sollte deshalb, wenn er mit der Abwehr von Adhäsionsansprüchen betraut wird, diesbezüglich die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragen.[10])
Verfahrenseinstellung gegen Auflage: Führt die Tätigkeit des Pflichtverteidigers zur Einstellung des Verfahrens gegen Erfüllung einer Auflage zur Schadenswiedergutmachung gem. § 153a Abs. 2 StPO, fällt zwar die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG an; auf diese Tätigkeit erstreckt sich die Beiordnung des Pflichtverteidigers jedoch nicht.[11])
Sachlicher Anwendungsbereich (Nr. 4143 Anm. Abs. 1 VV RVG)
Die Gebühr entsteht auch, wenn der Anspruch erstmalig im Berufungsverfahren geltend gemacht wird.
Ansprüche des Verletzten im Adhäsionsverfahren
Entstehen der Gebühr: Die Zusatzgebühr entsteht mit der ersten anwaltlichen Tätigkeit im Zusammenhang mit der Geltendmachung oder der Abwehr von vermögensrechtlichen Ansprüchen. Entsprechend der Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden.[12])
Beispiel: O ist Opfer der Körperverletzung durch T. Sie beauftragt Rechtsanwältin R mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in dem Verfahren gegen T. R bestellt sich mit dem Antrag auf Zulassung der O zur Nebenklage und der Ankündigung eines Adhäsionsantrags zu den Akten der Staatsanwaltschaft.
Die Staatsanwaltschaft stellt das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Ein gerichtliches Verfahren findet nicht statt, für ein Tätigwerden im vorbereitenden Verfahren (Ermittlungsverfahren) entsteht die Zusatzgebühr der Nr. 4143 VV RVG nicht.[13])
Beispiel: In Abwandlung des Beispiels 1 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage.
Mit Eingang der Anklage beginnt das gerichtliche Verfahren erster Instanz. Für R ist deshalb zu diesem Zeitpunkt die Zusatzgebühr entstanden.
Beispiel: In Abwandlung des Ausgangsbeispiels 1 erhebt die Staatsanwaltschaft nicht Anklage, sondern beantragt den Erlass eines Strafbefehls.
Zwar hat auch hier ein gerichtliches Verfahren begonnen; die Entscheidung über einen Adhäsionsantrag ist jedoch im Strafbefehlswege nicht möglich (§ 407 Abs. 2 StPO), weshalb für R keine Zusatzgebühr entsteht.[14])
Ansprüche des Verletzten außerhalb des Adhäsionsverfahrens
Beispiel: A hat B geohrfeigt, dieser hat daraufhin gegen A Strafantrag gestellt. Verteidiger V trifft sich mit dem Rechtsanwalt des B und kommt mit diesem überein, dass der Strafantrag zurückgenommen werde, wenn A ein Schmerzensgeld von 150 € bezahle und die Kosten des B trage. Die Staatsanwaltschaft stellt daraufhin das Ermittlungsverfahren nach § 153a StPO mit der Auflage einer Schmerzensgeldzahlung von 150 € ein.
In der Zivilsache hat V Anspruch auf eine Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV RVG für seine Tätigkeit und eine Gebühr der Nr. 1000 VV RVG für die Einigung mit B. In der Strafsache ist daneben eine Gebühr der Nr. 4102 Nr. 4 VV RVG für die Verhandlung über den Täter-Opfer-Ausgleich, eine Grundgebühr, eine Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren und – nach Auflagenerfüllung – eine Befriedungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG entstanden.
Sonderfall: Tätigkeit im Grundverfahren nach dem Gesetz über Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG)
In der Literatur herrscht die Meinung vor, die Gebühr der Nr. 4143 VV RVG sei entsprechend auf das Grundverfahren nach §§ 1 ff. StrEG anzuwenden.[15])
Demgegenüber vertritt die Rechtsprechung die Auffassung, für eine analoge Anwendung der Vorschrift fehle es bereits an einer Regelungslücke. Einen erhöhten Aufwand könne der Rechtsanwalt durch Ausschöpfung des Gebührenrahmens ausgleichen.[16])
[1]) BGH, Beschl. v. 30.03.2001 – 3 StR 25/01, NJW 2001, 2486 = StraFo 2001, 306; BGH, Beschl. v. 27.05.2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 253 = StraFo 2009, 349.
[2]) OLG Dresden, Beschl. v. 13.06.2007 – 1 Ws 155/06, AGS 2007, 404; OLG Hamm, Beschl. v. 18.06.2001 – 2 (s) Sbd 6 – 78/01, JurBüro 2001, 530 = NStZ-RR 2001, 351.
[3]) OLG Thüringen, Beschl. v. 14.09.2009 – 1 Ws 343/09, NJW 2010, 455 = Rpfleger 2010, 235.
[4]) AnwK-StPO/Krekeler/Werner, § 414 Rdnr. 7; Graf/Wessing, § 140 Rdnr. 1; HK-StPO/Julius, § 141 Rdnr. 15; KK-Laufhütte, § 140 Rdnr. 4; LR-Lüderssen/Jahn, § 141 Rdnr. 28; Meyer-Goßner, § 140 Rdnr. 5; SK-StPO/Wohlers, § 141 Rdnr. 20.
[5]) Brieske/Teubel/Scheungrab/Herrmann/Hellwig, MAH Vergütungsrecht, § 23 Rdnr. 141; Burhoff, RVG, VV 4143 Rdnr. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 5; Hartung/Römermann/Schons, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 5; Mayer/Kroiß, RVG, Nr. 4141–4147 Rdnr. 20; offen lassend: Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 5; Schneider/Wolf, RVG, VV 4143–4144 Rdnr. 61.
[6]) BGH, Beschl. v. 30.03.20013 – StR 25/01, NJW 2001, 2486 = StraFo 2001, 306.
[7]) BGH, Beschl. v. 27.05.2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 253 = StraFo 2009, 349.
[8]) KG [4. StS], Beschl. v. 04.09.2006 – 4 Ws 31/06, NStZ-RR 2007, 334 m. Anm. Kotz, dazu aber: Beschl. v. 24.06.2010 – 1 Ws 22/09, JurBüro 2011, 254 = RVGreport 2011, 142; OLG Dresden, Beschl. v. 13.06.2007 – 1 Ws 155/06, AGS 2007, 404; OLG Hamburg [1. StS], Beschl. v. 29.07.2005 – 1 Ws 92/05, NStZ-RR 2006, 347 = OLGSt StPO § 406 Nr. 1; OLG Hamm, Beschl. v. 31.05.2001 – 2 (s) Sbd 6 – 87/01, StraFo 2001, 361; OLG Köln, Beschl. v. 29.06.2005 – 2 Ws 254/05, RVG-Letter 2005, 10 = StraFo 2005, 394; OLG Rostock, Beschl. v. 15.06.2011 – I Ws 166/11, NJW-Spezial 2011, 732 = RVG professionell 2011, 159; OLG Schleswig, Beschl. v. 30.07.1997 – 1 Str 114/97, NStZ 1998, 101; LG Berlin, Beschl. v. 29.07.2004 – 528 Qs 50/04, StraFo 2004, 400; LG Görlitz, Beschl. v. 28.07.2006 – 2 Qs 79/06, AGS 2006, 502.
[9]) KG [1. StS], Beschl. v. 24.06.2010 – 1 Ws 22/09, JurBüro 2011, 254 = RVGreport 2011, 142 [Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des KG]; OLG Bamberg, Beschl. v. 22.10.2008 – 1 Ws 576/08, NStZ-RR 2009, 114 = OLGSt StPO § 140 Nr. 25; OLG Brandenburg, Beschl. v. 29.04.2008 – 2 Ws 59/08, OLGSt StPO § 140 Nr. 24; Beschl. v. 30.09.2008 – 1 Ws 142/08, AGS 2009, 69 = NJW-Spezial 2008, 410; OLG Celle, Beschl. v. 06.10.2005 – 1 Ws 357/05, StraFo 2006, 41 = StV 2006, 33; Beschl. v. 06.11.2007 – 2 Ws 143/07, AGS 2008, 229 m. Anm. Hansens = NStZ-RR 2008, 190; OLG Hamburg [2. StS], Beschl. v. 17.06.2010 – 2 Ws 237/09, NJW-Spezial 2010, 473 = OLGSt StPO § 141 Nr. 8; [3. StS], Beschl. v. 14.06.2010 – 3 Ws 73/10, OLGSt StPO § 140 Nr. 28 = StraFo 2010, 307; OLG Hamm, Beschl. v. 08.11.2012 – III-3 Ws 139/12, NJW 2013, 325; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.08.2013 – 3 Ws 203/12, Justiz 2013, 79; OLG München, Beschl. v. 26.11.2001 – 2 Ws 1340/01 K, StV 2004, 38; OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.04.2010 – 1 Ws 178/10, AGS 2010, 427 = StraFo 2010, 306; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 18.06.1999 – 1 Ws 65/99, JurBüro 1999, 592 = StV 2000, 433; OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.04.2009 – 1 Ws 38/09, AGS 2009, 387 = NStZ-RR 2009, 264; OLG Thüringen, Beschl. v. 14.04.2008 – 1 Ws 51/08, NJW-Spezial 2008, 697 = RVGreport 2008, 395 m. Anm. Burhoff; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.09.2006 – 1 Ws 347/06, JurBüro 2006, 643 = RVG-Letter 2007, 28; LG Bonn, Beschl. v. 07.04.2005 – 37 Qs 9/05 [aufgehoben durch OLG Köln, Beschl. v. 29.06.2005 – 2 Ws 254/05, RVG-Letter 2005, 10 = StraFo 2005, 394]; LG Bückeburg, Beschl. v. 04.01.2001 – Qs 142/00, NStZ-RR 2002, 31; LG Osnabrück, Beschl. v. 25.02.2011 – 6 Ks/830 Js 55726/08 – 5/09, NdsRpfl 2011, 272.
[10]) Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 5.
[11]) LG Braunschweig, Beschl. v. 08.03.2012 – 5 Qs 39/12, RVGreport 2012, 299.
[12]) OLG Thüringen, Beschl. v. 14.09.2009 – 1 Ws 343/09, NJW 2010, 455 = Rpfleger 2010, 235.
[13]) Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 8.
[14]) Schneider/Wolf, RVG, VV 4143–4144 Rdnr. 54.
[15]) Burhoff, RVG, VV 4143 Rdnr. 6; ders., RVGreport 2007, 372, 374; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 9; Hartung/Römermann/Schons, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 8; Hartung/Schons/Enders, RVG, Nr. 4143, 4144 VV Rdnr. 8; Schneider/Wolf, RVG, VV 4143–4144 Rdnr. 8.
[16]) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.02.1986 – 1 Ws 114/86, JurBüro 1986, 869; OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.04.2007 – 2 Ws 36/07, NStZ-RR 2007, 223 = RVGreport 2007, 390 m. Anm. Burhoff; OLG Köln, Beschl. v. 14.08.2009 – 2 Ws 373/09, AGS 2009, 483 = NStZ-RR 2010, 64.